shame you WHAT!?

S. Rudat & das (i)dentityteam
21.+22. Januar 2023


Adam
(ein introvieterter, schüchterner Mann, der Höhenangst hat)

Während der Performance habe ich erinnert, was manche Leute mir mehrmals gesagt haben.“Be a man. You are not man enough.“ Manche Leute erwarten viele Dinge von mir, nur weil ich ein Mann bin. Dinge, die ich nicht mag. Dinge, die sie nicht von mir erwarten würden, wenn ich eine Frau wäre. Muskeln, Autos, Fußball, Aggression, Dominanz. „Top G“ sein. Nach der Performance habe ich etwas erkannt. Egal wer was wie wir sind. Egal was wir machen. Arschlöcher werden uns sagen. „Shame you!“ 


Sabina

Ein grüner Stuhl, eine Person am Boden. Ein Monitor mit laufenden Wörtern, ein Varieté Vorhang.
Ich muss mich entscheiden ob ich mitlese oder nur der Stimme zuhöre, ich entschliesse mich vorerst für beides. 
Die Stimme klingt verletzlich, ich fühle sofort mit ihr, möchte sie beschützen. Ein Körper, der genau weiß was er tut, eine Stimme, die macht was sie will, es gibt Musik. 
So schöne Tüten im Wind, schaue gebannt auf die bewegten Bilder. 
Die Person nimmt mich mit auf eine sehr persönliche Reise. 
Ich kann mich dieser Authentizität und Verletzlichkeit nicht entziehen
Ich folge ihr durch Alpträume, wilde Fantasien, fühle Liebessehnsucht und Scham, Wut und Angst und fühle mich plötzlich selber sehr fragil. 
So viele Facetten einer Person. Ein Feuerwerk an Ideen. 
Nichts im Raum ist überflüssig, Texte, Licht, Bewegung, Musik, Film alles hat seinen Platz, seine Zeit und seine Berechtigung. So persönlich und doch so zugänglich und relevant für uns alle. 
„Würde“ wie wahr…


Sabina de Castro
(Geschäftsführerin, Mutter zweier erwachsener Kinder, Zweiflerin ein Leben lang
)

Die Chefin – die Kindergärtnerin – hieß PitschyperferctCruelladeville – oder so ähnlich. Sie sah auch so aus. Wir waren klein, noch nicht perfekt. Fatal für Pitschyperfect und genau richtig für ihren Sadismus. Ein Leidensgenosse von mir nahm sich ein Puzzle aus dem Regal und bekam es nicht fertig gelegt. Ein Verbrechen für Pitschyperfect. Es war uns bei Scham-bis-ans-Lebensende verboten, ein Puzzle aus dem Regal zu holen und es nicht perfektperfekt fertig gestellt wieder ins Regal zu räumen.
Der arme Tropf aber hatte sich wohl überschätzt. Und ich hatte Mitleid, ich kleines zartes Wesen. Ich gesellte mich also zu ihm und wollte ihm helfen. Diese Gelegenheit ergriff er und flüchtete. Ich stand mit dem unfertigen Puzzle allein am Tisch. Ich bekam es auch nicht hin. Todesurteil.
Mein Scheitern stand brutal im Raum, alles drehte sich mir, die Angst zog den Boden weg und lies die Stimmen um mich herum schrill werden. ALLES IN DIE REGALE RÄUMEN SPIELZEIT VORBEI. UND WEHE.
Ich räumte das Puzzle unfertig ins Regal.
WER WAR DAS !!!!!!!!! Pitschyperfect in Fahrt.
Und alle Kinder des Kindergartens mit einer Stimme, erleichtert, dass es nicht sie treffen wird, hämisch-froh, dass vor ihren Augen nun einem Kinde bei lebendigem Leibe das Herz aus der Brust gerissen wird: DIE SABIIIIIINAAAAAAA.
Alles wich zurück, nur Pitschyperfect mit Todesmiene und wirrem Haar und irrem Blick, triumphierend und drohend mit Puzzle in der Hand – und ich. WARST DU DAS?
Alles in mir schrie ob dieser Ungerechtigkeit. Nein, ich wars nicht. Aber es würde alles nur noch schlimmer, wenn ich leugnete. Mir wurde eh nicht geglaubt, keine Hilfe, keine Fürsprecher, keine Gnade in diesen Jahren kurz nach dem Krieg. Völlig verroht, diese Kindergärtnerinnen.
Ich bin gestorben vor Scham und Angst. Ich war ein Versager. Es war schlimmer als der Tod. Nie fühlte ich mich hilfloser, ausgelieferter. Noch heute, 55 Jahre später, spüre ich die brennende Scham, den Verrat der anderen, die Wut.


Sita Rajasooriya
(Sie) Soziologin, alleinerziehende, Mutter, Asien Deutsche mit internationalen Wurzeln

Was habe ich gerade gesehen? Mir fehlen die Worte. Es beginnt mit Scham. Auf einem Perlenvorhang mit großen Buchstaben steht Scham. Vor und hinter diesem Vorhang beginnt eine lange Reise in Gewalt, in Sexualität und warum dieser menschliche Teil schambesetzt ist. Dreckig, ekelig. Ich werde mitgenommen in Fragestellungen der Identität – darf ich die Person sein, die ich bin? Ich begleite eine Person, wo im ersten Moment nicht klar ist, ob weiblich oder männlich. Diese Gendervorgaben bleiben im weiteren uneindeutig, die Person wird im weiteren in viele unterschiedliche Rollen schlüpfen. Scham wird gründlichst ergründet. Eine wissenschaftliche Perspektive vorgestellt und ich muss lachen, denn die piepsige Psychologenstimme kommt weit aber irgendwie auch nicht weit genug. Braucht sie auch nicht. Ich frage mich, ist dies der Schmerz und die Scham einer non-binary Person? Schmerz räsoniert in mir. Es sind existenzielle Fragen des was darf ich, warum darf ich nicht lieben. Ich werde mitgenommen, wie diese Person sich durch die Facetten von Scham kämpft. Ach so ist das, denke ich. Die Person hat sich neben vielem auch weiß verortet. Weißen Menschen fehlen Worte und deshalb fällt Ihnen eine Auseinandersetzung mit Gewalt, Sexualität, christlichen Werte so schwer. Hier geht es durch die Tiefen von Scham und dann wie Scham als politische Aktion, Konzerne Regierungen aushebeln kann. Hatte ich so noch nie gesehen. Scham als konstruktive kraftvolle Kraft. Das geht wohl erst, wenn man sich mutig den Abgründen gestellt hat.
Die Reise geht weiter, denn Liebe und Sehnsucht werden ergründet, irgendwann auch die Hoffnung und das muss es auch, denn was wären wir Menschen ohne Hoffnung.
Die Person, die mal weibliche mal männliche Kraft exploriert, wird zart, wird sensibel und hier freue ich mich ihr zu folgen. Sie wird verspielt, singt mehrstimmig und ich liebe diese Person, denn sie will es anders, sucht andere Wege und das fühlt sich kraftvoll an. Ich werde ungeduldig, denn ich hoffe, dass diese Reise ein gutes Ende nimmt. Ein Ende mit Hoffnung, denn was musikalisch und visuell auf mich draufprasselt, ist nicht nur bildgewaltig, sondern voller Wut, Schmerz, der Wunsch nach Rache. Dieses Stück bringt Tabus, bringt Schattenseiten ins Licht. Gibt den Tiefen Platz, eine Stimme gibt ihr Gesang und tatsächlich Hoffnung. Dieses Stück reißt einen Vorhang des Schweigens, Verschweigens, Verdrängens auf. Das letzte Wort, das am Vorhang in lila leuchtet ist „Würde“. Zeit für einen Dialog, denn nun ist Platz.


Marcus, Vater von Luise und Matilda

„Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloss, die anderen folgen“ ist eine berühmte Regieanweisung aus Shakespeares „Macbeth“ und der Titel eines Stückes von Pina Bausch. In „Shame you WHAT!?“ nimmt mich Saskia Rudat an die Hand. Sie nimmt mich mit in ein „Schloss“, was eine Reise in Schmerz, Kränkung, Mut Liebe und Kindheit bedeutet. In ihre Kindheit und auch in die meine. Ich bin die ganze Zeit bei ihr, ob sie nun physisch performt, spielt, singt und Gitarre spielt oder einfach nur da ist, ein Kabel in eine Buchse steckt, sich umzieht oder an einem Regler dreht. Egal wie tief und heftig die Auseinandersetzung mit den eigenen Verletzungen wird, ich weiß das es „gut“ wird, das ich keine Angst haben muß, das ich vertrauen kann. So fliege ich in ihrer Performance zurück in die 60ger Jahre, in die Begegnung mit furchtbaren Lehrern aus der NS-Zeit, sehe in die Augen meines Vaters, die mir sagen: „Du sollst nicht sein, was willst du in meinem Leben?“ Sehe in die Augen meiner Mutter, die mir sagen: „Es ist gut, das du da bist, ich liebe dich!“ Anscheinend war ich „richtig“ und „falsch“? Aber was bin ich nun? Richtig oder falsch? So wie ich lernte, das es Dinge gibt, die richtig oder falsch sind, Dinge die man tun darf oder auch nicht! Für letztere, wenn man sie denn tut, hat man sich zu schämen. Schämst du dich denn gar nicht? Unverschämt! Schamlos!
In einem Moment der Performance, erzählt Saskia Rudat von einer tiefen Krise. Eine Krise in der sie ganz allein war, in der sie das Gefühl hatte, das ihr niemand helfen könne. In dieser Krise entdeckte sie eine innere Stimme, die ihr sagte, das es gut sei, das sie da ist. Das sie nicht alleine ist, das sie mit sich selbst „zweisam“ statt „einsam“ ist. Ich kenne diesen Moment. Für mich war es ein „Erwachen“! Ich musste in ihrer Performance daran denken, das ich bei aller Wut, allem Schmerz und allen Wünschen nach Vergeltung, eines von den „Verletzern“ gelernt habe: Den Wunsch und Willen zu überleben!
Saskia Rudat nahm mich an die Hand, auf eine Reise, in ihre Geschichte, in ihre Welt. So konnte ich auch meiner eigenen begegnen. Sie war mir während ihrer Performance nahe, ließ mich spüren, fühlen und denken, ohne zu missionieren. Die Zeit verging im Fluge. Danke!